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Karriere auf Schiene - zwei Eisenbahnerinnen erzählen

© Diva Shukoor (am Bild: Anja Granitz)

Es steht außer Frage, dass der Transport von Menschen und Gütern auf der Schiene Zukunft hat. Wir haben mit zwei angehenden Eisenbahnerinnen, Anja Granitz von den ÖBB und Diana Ilk von LTE, über ihre Ausbildung und die Karriere danach gesprochen.

Text: SMK

Wien-Floridsdorf, Servicestelle der Technischen Services der ÖBB. In den Hallen auf dem weitläufigen Gelände werden Züge gewartet, Störungen beseitigt und Maschinen repariert. Hier ist der Arbeitsplatz von Anja Granitz. Nach ihrem erfolgreich bestandenen Lehrabschluss in Elektrotechnik mit Schwerpunkt Anlagen- und Betriebstechnik hat sie sich für diesen Standort in der Ruthnergasse beworben. „Ausgelernt" hat sie aber noch nicht: Nach der dreieinhalbjährigen Lehre startet sie in wenigen Tagen ein Zusatzmodul für Eisenbahnfahrzeug-Instandhaltungstechnik, das weitere sechs Monate umfasst.

Schon in der Volksschule interessierte sich Anja für Technik-orientierte Berufe. Auch Interessenstests in der Oberstufe ihrer Schule, dem bilingualen Realgymnasium des privaten Schulvereins Komenský, bestätigten diese Neigung. „Ich habe erkannt, dass ich wirklich nicht studieren, sondern etwas mit meinen Händen arbeiten und mich bewegen möchte", schildert die Wienerin ihre Beweggründe.

In der sechsten Klasse schließlich entschloss sich Anja, die Schule zu beenden und eine Lehre zu beginnen. Über das Programm „youngFIT" des Vereins Sprungbrett lernte sie in Exkursionen verschiedene Unternehmen und technische Lehrberufe kennen. „Gleich die erste Exkursion führte uns in eine Lehrwerkstätte der ÖBB. Wir haben einen kleinen Test gemacht, es gab auch einen Zugsimulator und im Anschluss wurden Bewerbungsgespräche geführt. So bin ich zu dieser Ausbildung gekommen", erinnert sie sich.

SPEZIALISIERUNG IM DRITTEN LEHRJAHR

Während im ersten Lehrjahr die mechanische Ausbildung – „Drehen, Fräsen, Schweißen, Feilen" – erfolgte, kamen im zweiten Jahr die elektrischen Module hinzu. „Da haben wir alles über Steueranlagen, Schaltkästen und auch SPS-Programmieren gelernt", so Anja. Im dritten Lehrjahr folgten dann Eisenbahn-spezifische Inhalte. „Wir sind in den Außendienst gekommen und haben langsam begonnen, mit Zügen oder auf der Strecke zu arbeiten, zum Beispiel Weichen zu warten." Im Zusatzmodul wird sie nun weitere Standorte in Österreich kennenlernen und verschiedene Schulungen erhalten, darauf freut sie sich. „Wir starten in St. Pölten, dann folgen weitere Dienststellen. Das wird sicher interessant für mich."

Als sehr anstrengend empfand sie hingegen anfangs die Umstellung von der Schule auf die Lehre. „Hart war schon einmal der Beginn in der Früh um 6.30 Uhr – da bin ich vorher ja gerade einmal aufgestanden. In den ersten Wochen kam ich nach der Lehre nach Hause und bin direkt schlafen gegangen, weil ich so fertig war", schildert sie den heftigen Umstieg. Den ganzen Tag zu stehen und handwerklich zu arbeiten, daran war sie naturgemäß nicht gewöhnt. „Aber man stellt sich schnell um. Und rückblickend bin ich einfach sehr froh, den Schritt gewagt zu haben. Auch körperlich fühle ich mich besser, weil ich mehr in Bewegung bin", führt sie weiter aus.

LAUFENDE WEITERBILDUNGEN

Am Standort Ruthnergasse werden ÖBB-Schnellbahnen gewartet. Derzeit hat Anja das „Pickerl" für zwei Fahrzeugtypen, sie ist auf die Modelle City Jet und Talent geschult. „Der City Jet ist neu und modern, da gibt es naturgemäß derzeit nur eher kleinere Wartungen", erzählt sie. Um am neuesten Stand zu bleiben, werden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter laufend auf Schulung geschickt. „So lernt man die Fahrzeuge besser kennen. Das beschleunigt natürlich die Fehlersuche und führt dazu, effizienter zu arbeiten", unterstreicht sie die Notwendigkeit für lebenslanges Lernen. Neben dem handwerklichen Einsatz gehört auch die Arbeit am Computer zu ihrem Job. Mithilfe des Laptops werden beispielsweise Wartungen durchgeführt oder Fahrzeugdaten ausgelesen.

Am Standort haben mehrere Teams unterschiedliche Aufgaben zu erfüllen. „Manche führen geplante Wartungen durch, andere beheben akute Gebrechen oder Fehler, die während der Fahrt aufgetaucht sind", erläutert Anja. Je nachdem, in welchem Team man eingeteilt ist, sind nach Lehrabschluss verschiedene Arbeitszeitmodelle möglich. Die Palette reiche von Gleitzeit von Montag bis Freitag bis zu unterschiedlichen Schichtdiensten mit Nacht-, Wochenend- und Feiertagseinssätzen.

FRAUENANTEIL STEIGT

Während der Frauenanteil quer über alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (inklusive Lehrlingen) bei 13 Prozent liegt, macht er allein bei den rund 2.000 Lehrlingen bereits 20 Prozent aus. Auch in Anjas Ausbildungsgruppe waren einige Lehrmädchen. „Aber natürlich hätten wir gern noch mehr Frauen: Schließlich müssen wir in den kommenden Jahren die Pensionslücke der Babyboomer schließen", gibt Daniel Pinka, ÖBB-Pressesprecher, zu bedenken. Das Unternehmen engagiere sich mit unterschiedlichen Kampagnen und investiere viel in die Lehrwerkstätten: „Die sind alle am letzten Stand der Technik", so der Pressesprecher. Die ÖBB bilden insgesamt in 27 unterschiedlichen Lehrberufen aus. Sie sind nach eigenen Angaben auch der größte Lehrlingsausbilder in technischen Berufen und verfügen über neun eigene Lehrwerkstätten. Österreichweit stehen ab September 2022 rund 600 Ausbildungsplätze zur Verfügung.

Neben dem attraktiven Einstiegsgehalt nach dem Lehrabschluss – in der Elektrotechnik liegt es bei ca. 2.200 brutto ohne Zuschläge – streicht Pinka die Sicherheit des Arbeitsplatzes hervor. „In den kommenden Jahren wird unglaublich viel in die Bahn investiert. Es werden neue Fahrzeuge angeschafft und bis 2027 über 18 Milliarden Euro in moderne Bahn-Infrastruktur investiert. Im Rahmen der angestrebten klimaneutralen Mobilität wird die Bahn weiter an Bedeutung gewinnen", ist der Pressesprecher überzeugt.

VIEL ABWECHSLUNG

An ihrem Job mag Anja vor allem die Abwechslung. „Ich weiß in der Früh nie, welche Wartung auf mich zukommt, an welchem Fahrzeug ich arbeiten werde - ob am Zug oben, unten oder im Fahrzeug drinnen", hebt sie den für sie großen Pluspunkt hervor. Als wichtigste Eigenschaft sieht sie neben technischem Interesse Lernbereitschaft und Respekt gegenüber anderen. „Wenn man im Team arbeitet, ist es enorm wichtig, gut mit allen auszukommen", so ihre Erfahrung. Auch Weiterentwicklungs-Perspektiven gäbe es ausreichend, so könne man beispielsweise die Lokführerausbildung oder den Wagenmeister dazu machen. Anja hat jedoch auch nach ihrem zweiten Abschluss im August nicht vor, ihren Kurs zu ändern. „Ich möchte hier am Standort bleiben und weiter an den Zügen arbeiten."

Diana Ilk ist Lokführerin. Die 24-jährige Steirerin ist seit eineinhalb Jahren fertig ausgebildet und fährt für das private Güterbeförderungsunternehmen LTE (Logistics and Transport Europe). Ihre theoretische Ausbildung absolvierte sie in Graz über die LTE-Mutter Graz-Köflacher Bahn (GKB). Die Ausbildung hat ein gutes Jahr gedauert. „Wegen Corona hat sich das Ganze etwas verlängert, in der Regel sind es etwa zehn Monate", erzählt Diana. Sie hat als eine von sieben Personen – außer ihr nur Männer – begonnen; abgeschlossen haben die Ausbildung letztlich nur drei. Dabei ist Lokführer- Nachwuchs nicht nur bei der LTE dringend gesucht – vor allem bei den ÖBB werden durch Pensionierungen in den kommenden Jahren viele Posten frei.

TECHNIKWISSEN IST KEINE VORAUSSETZUNG

Galt früher eine technische Vorbildung als Voraussetzung für die Lokführer-Ausbildung, so wurden die Aufnahmebedingungen mittlerweile vereinfacht. „Eine abgeschlossene Lehre oder Schulabschluss reichen", weiß Diana, die eine Handelsakademie besuchte und im Anschluss an die Matura zunächst für mehrere Jahre nach Wien ging. Dort arbeitete sie am Flughafen Schwechat in der Sicherheitskontrolle. Dass es sie dann zur Bahn verschlug, hat mit ihrem Vater zu tun, der als Fahrdienstleiter bei den ÖBB arbeitet. „Ich hab mir gedacht: Ich probier es einfach, vielleicht ist das ja das Richtige für mich – und so war es dann auch", ist sie nach wie vor überzeugt von ihrer Entscheidung.

Dass die Ausbildung viel mit Technik zu tun haben würde, war ihr von Beginn an klar. „Ich hatte schon ein wenig Angst davor, weil ich ja überhaupt keine technischen Vorkenntnisse hatte", sagt sie. Auf dem Stundenplan nimmt die Elektronik viel Raum ein: „Man lernt alles über jedes Bauteil der Lok, den Aufbau des Motors, den Stromfluss von der Oberleitung bis in die Schiene und so weiter", erzählt Diana. Sie habe sich damit auch schwerer getan als ihre Kollegen, die bereits technische Berufe erlernt hatten. „Aber wenn man dahinter ist und am Laufenden bleibt, ist es zu schaffen", so ihre Erfahrung.

SCHULUNGSFAHRTEN

Zu Beginn standen mehrere Wochen Theorie am Programm, danach wechselten sich Theorie und Praxis meist im Wochenrhythmus ab. „Das ist toll, weil man das Gelernte gleich umsetzen und sich vieles auch besser merken kann", ist Diana überzeugt. Viel schaue man sich auf den Schulungsfahrten dann natürlich von den arrivierten Lokführern ab, die einen begleiten. Eine spezielle Ausbildung hätten diese nicht, grundsätzlich dürfe jeder Lokführer mit drei Jahren Fahrpraxis einen Auszubildenden mitnehmen. „Erst seit kurzem gibt es eigene Fachtrainer", erklärt Diana.

Die Schulungsfahrten für österreichische Güterzug-Lokführer erstrecken sich jeweils bis zu den Grenzbahnhöfen in Deutschland, Ungarn, Slowenien, der Slowakei und Italien. Wer weiter ins Nachbarland fahren möchte, braucht eine Zusatzausbildung in Form von mehreren Wochen Schulung mit Praxisstunden und abschließender Prüfung. Eine Erweiterung ihres Radius strebt Diana aber derzeit nicht an: „So weit mag ich dann auch nicht weg", meint sie.

FRAUEN SIND EINE RANDERSCHEINUNG

Unter den 48 ausgebildeten Triebfahrzeugführern der LTE ist Diana die einzige Frau. Auch unter den zwei Personen in Ausbildung sowie sechs Nachwuchskräften, die ihre Ausbildung heuer im Frühjahr gestartet haben, ist sie die Ausnahme. Bei den ÖBB hingegen gäbe es sehr wohl weibliche Lokführer, weiß sie, vor allem bei den Personenzügen. Die Vorteile lägen beim Personentransport in besser strukturierter Arbeitszeit und fixen Pausen. Beim Gütertransport heißt es, deutlich flexibler zu sein. „Man kann nicht kurz aufstehen oder Pause machen", erklärt Diana. Denn der Zug muss permanent überwacht und gesteuert werden. So sind etwa alle 30 Sekunden bestimmte Sicherheitseinstellungen zu betätigen, andernfalls bremst sich der Zug bis zum Stillstand ein, um niemanden zu gefährden.

In der Ausbildungszeit ist ein angehender Lokführer immer zu zweit unterwegs. „Wenn man etwas essen will oder müde wird, übernimmt der andere. Aber nach dem Abschluss ist man vollkommen auf sich allein gestellt – das ist schon eine Herausforderung", beschreibt Diana das hohe Ausmaß an Konzentration und Verantwortungsbewusstsein, das gefordert ist. „Das war vor allem am Anfang sehr anstrengend", erinnert sie sich.

Als Ansprechperson stehen lediglich sogenannte Disponenten im Grazer Büro zur Verfügung, das aber rund um die Uhr. Sie organisieren und koordinieren alle Angelegenheiten rund um den Gütertransport. Dass es keine punktgenauen Vorgaben gibt wie beim Personenverkehr, mag Diana aber irgendwie. „Der Güterzug kann eine Stunde früher oder drei Stunden später ankommen, da hat man keinen so großen Zeitdruck, wie wenn man etwa einen Railjet lenkt."

ANSPRUCHSVOLLER JOB, TOPGEHALT

Der Job bietet nach absolvierter Ausbildung ein Einstiegsgehalt von weit über 2.000 Euro brutto plus, je nach Einsatz, eine Reihe von Zulagen etwa für Wochenenddienste, Nacht- oder Feiertagsarbeit oder Aufwandsentschädigung für Übernachtungen. Lokführer können zudem aus unterschiedlichen Schichtmodellen wählen.

Eine Vier-Tage-Schicht sieht bei Diana so aus: „Am ersten Tag geht es um die Mittagszeit los nach Ungarn. In der Dienstwohnung in Hegyeshalom lege ich mich hin bis am Abend, dann setze ich am zweiten Tag um ein oder zwei Uhr in der Früh die Fahrt fort nach Passau. Dort übernachte ich im Hotel. Am nächsten Tag dann dasselbe Spiel retour. Und am vierten Tag komme ich nach Hause", schildert sie. Das Heimkommen sei nach einem so langen Dienst schon immer eine große Freude. „Es ist dann schön, wieder jemanden zum Reden zu haben, und ich merke auch, wie viel mehr ich dann in meiner Freizeit telefoniere", schmunzelt sie.

Was die weitere Karriere anbelangt, so könnte man sich in Richtung Disponent entwickeln oder zum Fachtrainer weiterbilden lassen. Für Diana steht das derzeit nicht zur Diskussion. „Ich mag jetzt einmal nur Lokführerin sein, der Job erfüllt mich", ist sie überzeugt. Besonders schätzt sie die hohe Eigenverantwortlichkeit an ihrem Beruf. „Im Großraumbüro zu sitzen, ist nichts für mich", meint sie. Auch die Flexibilität durch die geblockte Freizeit gefällt ihr. „Wenn ich vier Tage unterwegs bin, habe ich danach drei Tage frei – vor allem unter der Woche ist das sehr angenehm, um Arzttermine oder Einkäufe zu erledigen oder auch Zeit für Freizeitaktivitäten zu haben." 

© Diva Shukoor
© Diva Shukoor (am Bild: Anja Granitz)
© LTE-group (am Bild: Diana Ilk)
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